Umweltwirtschaft ist kein Begriff in der amtlichen Branchenklassifikation nach Wirtschaftszweigen und Gütergruppen. Um ihre wirtschaftliche Bedeutung belastbar zu analysieren, ist daher eine Abgrenzung erforderlich.
Diese Abgrenzung der Querschnittsbranche Umweltwirtschaft muss den folgenden Anforderungen
genügen, um aussagekräftige Analyseergebnisse erzielen zu können:
- Vollständigkeit des Abbilds der Umweltwirtschaft: Darstellung von Märkten und ihren Gütern im Wertschöpfungsverbund mit aussagekräftigen Indikatoren
- Konsistenz: klare Qualifizierungskriterien und valide Umsteigeschlüssel
- Validität: statistische Datenbasis, keine Hochrechnungen aus Umfragen
- Anschlussfähigkeit an bestehende Studien ermöglicht Vergleiche und orientiert sich am Stand der Forschungsdiskussion
- Handlungsrelevanz: Die Abgrenzung der Umweltwirtschaft orientiert sich an Märkten und Wertschöpfungsstrukturen. Damit wird eine Praktikabilität der Ergebnisse für die operative Nutzung in der Wirtschafts- und Standortförderung sowie der Wirtschaft selbst sichergestellt.
Für den vorliegenden Bericht wurde hierzu eine mehrstufige Erfassungsmethodik entwickelt. Zunächst wurden bestehende Ansätze ausgewertet. Grundsätzlich lassen sich zwei Kategorien von Ansätzen unterscheiden. Einerseits kann die Definition der Umweltwirtschaft sektoral auf Basis der Wirtschaftszweigklassifikation erfolgen (Top-down-Ansatz). Funktionale bzw. produktbasierte Ansätze identifizieren andererseits die zur Umweltwirtschaft gehörigen Produkte mit Hilfe eines allgemeinen, auf der Basis von der OECD und Eurostat3 entwickelten Selektionskriteriums – im konkreten Fall ist dies ein näher spezifizierter Umweltnutzen (Bottom-up-Ansatz).
Ein rein sektoraler Ansatz würde auf Grund der unpräzisen Wirtschaftszweigsystematik zu höheren Abgrenzungsschwierigkeiten führen. Ein rein güterbasierter Ansatz greift dagegen zu kurz, da Dienst- leistungen im Güterverzeichnis der Produktionsstatistik nur sehr begrenzt abgebildet sind. Diese stellen jedoch einen wesentlichen Bestandteil der Umweltwirtschaft dar. Zudem ist der güterbasierte Ansatz wichtig, damit Innovationen und der Außenhandel detailliert abgebildet werden können. Um den aufgeführten Anforderungen Rechnung zu tragen, wurde ein kombinierter Ansatz entwickelt: Dieser identifiziert sowohl die Wirtschaftszweige als auch die Güter der Umweltwirtschaft und verknüpft sie anschließend unter Verwendung amtlicher Umsteigeschlüssel. Die sektorale Perspektive der Wirtschaftszweige gibt hierbei Aufschluss über den Umfang der Erwerbstätigkeit, Umsätze und Bruttowertschöpfung, während die Betrachtung von Gütern die Analyse von Außenhandels- und In- novationsleistungen ermöglicht. Mittels eines systematischen Abgleichs wird die Umweltwirtschaft als ein neues Gesamtsystem erfasst.
Die statistische Erfassung der Umweltwirtschaft erfolgte über die amtlichen Wirtschaftsstatistiken auf Basis der dieser zugrunde liegenden Systematik der Wirtschaftszweige und der Güterarten. Gemäß den weiter unten beschriebenen Abgrenzungskriterien wurde die Zugehörigkeit jedes klassifizierten Wirtschaftszweigs und Guts zur Umweltwirtschaft geprüft. Zu diesem Zweck erfolgte eine systematische Prüfung der 1.834 Wirtschaftszweige in der aktuellen Klassifikation WZ-2008 und der 7.690 Gütereinträge in der aktuellen Klassifikation GP-2009. Des Weiteren erfolgte ein Matching der identifizierten Wirtschaftszweige und Gütereinträge nach einem Umsteigeschlüssel des Statistischen Bundesamts sowie für einzelne Einträge eine auf Sekundärdaten basierende Schätzung der zu berücksichtigenden Anteile.
Die auf diese Weise identifizierten Wirtschaftszweige und Gütereinträge der Umweltwirtschaft wurden in acht Teilmärkten systematisiert. Jeder Teilmarkt setzt sich dabei aus verschiedenen Marktsegmenten zusammen. Teilmärkte und Marktsegmente dienen als grundlegende Analyseebenen, nach denen die Daten aufbereitet werden. Diese Systematisierung hat eine markt- und handlungsorientierte Einteilung zum Ziel, die sowohl den Akteuren der Umweltwirtschaft als auch den Landesbehörden, regionalen Wirtschaftsförderungsgesellschaften, Regionalverbünden, Städten und Kommunen wertvolle Analysen bieten und Handlungsansätze aufzeigen kann.
In jedem Teilmarkt müssen auch teilmarktübergreifende umweltrelevante Dienstleistungen berücksichtigt werden, um eine vollständige Abbildung der Umweltwirtschaft zu gewährleisten. Zu diesen Dienstleistungen gehören:
- Forschung und Entwicklung, die häufig interdisziplinär ausgerichtet ist und sämtlichen Teilmärkten als Transmitter zur Entwicklung neuer Technologien dient,
- Handwerkliche Dienstleistungen, insbesondere Installationsarbeiten, die in verschiedenen Teilmärkten die Implementierung von Umwelttechnologien und -produkten überhaupt erst ermöglichen, und
- andere Umweltdienstleistungen und Systemlösungen, die entweder dem allgemeinen Umweltschutz dienen oder Umweltschutz durch Systemlösungen betreiben und somit mehrere Teilmärkte betreffen (z. B. Öko- design, IT oder Mess- und Regelungstechnik).
Die Erfassungsmethodik mitsamt Abgrenzungsverfahren und Systematisierung wurde in einem Prüf- und Lernprozess von verschiedenen Akteuren begleitet. Ziel war es, die Erfahrungen und Perspektiven relevanter Akteure aufzunehmen und die Erfassungsmethodik zu validieren.
Güter und Wirtschaftszweige der Umweltwirtschaft werden hier anhand eines Kriterienkatalogs identifiziert bzw. abgegrenzt: Erfüllt ein Produkt oder eine Dienstleistung eines der zwei Kriterien „direkter Umweltnutzen“ und „umweltfreundliche Substitute“, ist es Teil der Umweltwirtschaft. Rückgrat der Umweltwirtschaft sind Anbieter von technologischen Produkten und Komponenten, durch deren Einsatz ein Umweltnutzen entsteht (Enabler). Dazu treten spezialisierte Dienstleister (Transmitter) an der Schnittstelle zwischen Technologieentwicklung und Marktdiffusion von Umweltwirtschaftsprodukten.
Hauptkriterium 1: Direkter Umweltnutzen eines Produkts/einer Dienstleistung
Generiert ein Produkt bzw. eine Dienstleistung im Hinblick auf einen Teilmarkt einen direkten Umweltnutzen, ist es bzw. sie Teil der Umweltwirtschaft. Diese Einordnung orientiert sich am Kern der von OECD/Eurostat7 entwickelten Definition relevanter Aktivitäten, wonach zur Umweltwirtschaft gezählt wird: das Messen, Kontrollieren, Sanieren, Vermeiden, Behandeln, Minimieren und Erforschen von sowie
das Sensibilisieren für Umweltschäden an Luft, Wasser und Boden sowie Probleme bezüglich Abfall, Lärm, Biodiversität und Landschaften und Ressourcenerschöpfung.
Hauptkriterium 2: Umweltfreundliche Alternativ- produkte/Substitute
Umweltfreundliche Substitute für konventionelle Produkte werden ebenfalls der Umweltwirtschaft zugerechnet. Somit werden Produkte und Dienstleistungen erfasst, deren Hauptzweck nicht nach der Definition von OECD/ Eurostat8 primär im Umweltschutz liegt, sondern die als „sauberere“ oder ressourceneffiziente Technologien, Güter und Dienstleistungen umweltfreundliche Alternativen darstellen. Um diese sinnvoll abgrenzen zu können, wird auf die transformative Wirkung der Produkte geachtet. Diese lässt sich nach folgenden Aspekten bemessen:
- Berücksichtigte Produkte müssen eine Enabler-Funktion besitzen, d. h. von ihnen geht auf Grund ihrer Technologie bzw. Produktbeschaffenheit eine Transformationswirkung auf konventionelle Alternativen mit demselben Produktzweck aus. Ein Beispiel sind etwa aus Elektromotoren, Batterie- und Ladesystemen bestehende Antriebseinheiten für E-Fahrzeuge, die durch ihre innovative Technologie zur Transformation der Mobilität beitragen können und daher berücksichtigt werden.
- Die transformative Wirkung muss nicht notwendigerweise auf (technologischen) Innovationen begründet sein. Der ÖPNV oder Fahrräder werden beispielsweise als umweltfreundliche Substitute ebenfalls berücksichtigt, da sie durch ihre Produktbeschaffenheit eine klar abgrenzbare Alternative zu umweltschädlicheren Mobilitätsvarianten darstellen. Ihre Wirkung wird durch technologische Innovationen (Enabler-Produkte) noch verstärkt (z. B. e-Antriebe in Bussen).
- Spezifische Weiterentwicklungen auf systemischer Ebene (Prozessinnovation, neue Geschäftsmodelle etc.) tragen ebenfalls entscheidend zur Transformation bei.
Endprodukte, die sich lediglich durch eine Effizienzsteigerung im Verbrauch auszeichnen, bzw. solche, die aus einer Weiterverarbeitung von berücksichtigten Effizienztechnologien resultieren, können statistisch nicht abgegrenzt werden, da sich unter jeder energie- bzw. ressourcenverbrauchenden Produktgruppe solche ausmachen ließen, die einen geringeren Verbrauch als andere aufweisen. Ein möglicher „Best-in-Class“-Ansatz, bei dem ein gewisser Prozentsatz der effizientesten Produkte berücksichtigt würde, brächte ein Grundrauschen mit sich, das den Blick auf die eigentlichen Technologien versperren würde. In der statistischen Abgrenzung werden daher nur Produkte erfasst, die sich durch ihre Technologie oder Produktbeschaffenheit klar von konventionellen (d. h. umweltschädlicheren) Produkten unterscheiden lassen.
Hilfskriterium: Betrachtung der unterstützenden Wertschöpfungsfunktionen von Umweltwirtschaftsaktivitäten oder -gütern
Dieses Hilfskriterium fungiert als unterstützendes Zuordnungsprinzip, das den Betrachtungshorizont erweitert. Dabei wird die Wertschöpfungsfunktion einer Wirtschaftsaktivität im Zusammenhang mit Umweltwirtschaftsprodukten betrachtet. Neben den technologischen Enablern, die das Rückgrat der Umweltwirtschaft bilden, wird so die wichtige Funktion von Transmittern und Lead Usern ebenfalls gewürdigt. Dienstleistungen oder Güter, die sich als Transmitter oder Lead User als Teil der Umweltwirtschaft qualifizieren, müssen Teil der Wertschöpfung eines bereits identifizierten Umweltwirtschaftsprodukts sein und für dessen Bereitstellung eine besondere Funktion erfüllen:
- Technologische Enabler: Anbieter von technologischen Produkten und Komponenten, durch deren Einsatz ein Umweltnutzen entsteht. Sie stellen den Kern der Umweltwirtschaft dar.
- Transmitter: Spezialisierte Dienstleister an der Schnittstelle zwischen Technologieentwicklung und Marktdiffusion von Umweltwirtschaftsprodukten. Sie tragen maßgeblich zur Entwicklung bzw. Verbreitung von Umwelttechnologien bei.
- anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung (F&E)
- Ökodesign
- Spezialisierte Ingenieurdienstleistungen und spezifische Handwerksleistungen
- IT-Services
Weitere ökonomische Effekte
Die Abgrenzung ist nicht auf einen spezifischen Abschnitt der Wertschöpfungskette beschränkt oder ausgerichtet. Entscheidend für die Zuordnung einer wirtschaftlichen Tätigkeit oder eines Produkts zur Umweltwirtschaft ist der direkte oder indirekte Umweltnutzen gemäß den dargestellten Kriterien. Die wirtschaftliche Bedeutung der Umweltwirtschaft mit ihrer gesamten vor- und nachgelagerten Wertschöpfung geht somit über die bewusst eng gefasste Abgrenzung deutlich hinaus.
- Zulieferer: In der Regel lässt sich erst bei Produkten auf höheren Fertigungsstufen ein Umweltnutzen feststellen. Produkte auf niedrigeren Stufen sind hierfür meist noch zu unspezifisch ausgeprägt. Für berücksichtigte Produkte gilt: Vorleistungen hierzu werden nur erfasst, sofern sie sich selbst der Umweltwirtschaft zurechnen lassen. Dies ist der Fall z. B. bei Rotorblättern und Antriebssträngen für Windenergieanlagen und Filtermembranen für Luft- und Abwasserfilteranlagen. Unspezifische Vorleistungen werden nicht erfasst.
- Lead User: Im Hinblick auf industrielle Güter ist es häufig nicht erst die letzte Verarbeitungsstufe, mit der ein Produkt seinen Umweltnutzen erhält. Beispielsweise haben nachwachsende Rohstoffe einen Umweltnutzen, da sie ein umweltfreundliches Substitut für einen konventionellen Rohstoff darstellen, und sind folglich Teil der Abgrenzung. Produkte, die aus den weiteren Verarbeitungsstufen des Rohstoffs entstehen, werden eigenständig nach ihrem Umweltnutzen beurteilt. Einzelne Unternehmen, die innovative umweltfreundliche Produkte anbieten, zählen zwar zur Umweltwirtschaft, können im Rahmen der zur Verfügung stehenden statistischen Klassifikationen jedoch nicht mit Daten hinterlegt werden. Diese sogenannten Lead User können durch ihre spezifische Nachfrage als Treiber der Entwicklung und Diffusion von Umweltwirtschaftsprodukten gelten und sind somit eng mit dem Kern der Umweltwirtschaft verbunden.