Die linke und die rechte Hand des Diols

green tech für die Gewinnung wichtiger Rohstoffe

Düsseldorf, 02.06.2021 • Diole heißt eine Gruppe wertvoller Substanzen, die unter anderem für die Produktion von Medikamenten benötigt werden. Die herkömmlichen Herstellungsverfahren sind ineffizient und erfordern giftige Chemikalien. Ein Forschungsprojekt setzt stattdessen biologisch abbaubare Eiweißbausteine (Enzyme) ein und entwickelt damit einen ökonomisch sowie ökologisch wettbewerbsfähigen Herstellungsprozess. Das Vorhaben von Enzymaster Deutschland aus Düsseldorf in Kooperation mit dem Forschungszentrum Jülich und der RWTH Aachen University wird durch das Sonderprogramm Umweltwirtschaft des NRW-Umweltministeriums gefördert.

Chemische Moleküle können sehr einfach aufgebaut sein – oder sehr komplex. Die einfachen bildet man gern als kleine Gymnastikhanteln ab, während die komplexeren baumartige Strukturen mit vielen Ästen und Zweigen ergeben. Irgendwo dazwischen liegt die Gruppe der Diole: ein kurzer Ast, ein paar Zweige, nicht übermäßig kompliziert. Man benötigt diese chemischen Verbindungen, um Medikamente wie Gerinnungshemmer oder Antibiotika herzustellen – und verschiedene Geruchs- und Aromastoffe.

Das Problem: Es müssen dabei stets ganz bestimmte Diole sein. Und hier wird es etwas kompliziert. Das liegt an der Sache mit den Händen. Wenn man sich seine Hände ansieht, stellt man fest, beide haben je vier Finger und einen Daumen. Dennoch sind sie nicht gleich: Wir haben eine linke und eine rechte Hand, der Daumen liegt mal rechts, mal links vom Zeigefinger. Und wie jeder Heimwerker mit zwei „linken“ Händen leidvoll nachvollziehen kann, bringen diese Varianten unterschiedliche Eigenschaften mit sich.

Zielgenaue Herstellung komplexer Chemikalien

Ganz ähnlich verhält es sich bei manchen Molekülen, die es ebenfalls in Varianten gibt. Mal liegt ein bestimmter Zweig rechts von der Gabelung, mal links davon, ansonsten sind die Moleküle gleich. Diese Eigenschaft heißt Chiralität, abgeleitet aus dem griechischen Wort cheir für Hand. Und je nachdem wie komplex ein chirales Molekül aufgebaut ist, kann es zwei, vier oder noch mehr Varianten davon geben. „Chirale Moleküle sind baugleich, unterscheiden sich aber durch die Ausrichtung der Bausteine stark in ihren Eigenschaften. Zum Beispiel riechen nur zwei von insgesamt acht Varianten des Menthols überhaupt nach Menthol“, beschreibt Dr. Thomas Daußmann, Geschäftsführer der Enzymaster Deutschland, das Phänomen. „Chirale Moleküle sind auch unterschiedlich wirksam im Körper, haben oft einen anderen Geschmack oder eine andere Giftigkeit. Das ist auch bei den von uns gesuchten Diolen so. Es gibt sie in bis zu vier Varianten, von denen wir jeweils genau eine benötigen.“

Diese besondere Eigenschaft der chiralen Diole macht ihre Herstellung so kompliziert. Denn die herkömmlichen chemischen Verfahren liefern mit der gewünschten Variante auch gleich alle anderen mit. Im konkreten Fall sind also bis zu drei Viertel der produzierten Menge Ausschuss. Bis das gewünschte Diol isoliert und gereinigt vorliegt, verringert sich die reale Ausbeute noch einmal, auf schließlich 15 bis 20 Prozent. Kein Wunder, dass chirale Diole zu den teuren Rohstoffen gehören: „Der Preis liegt zwischen 1.000 und 10.000 Euro pro Kilo“, sagt Daußmann.

„Neben der geringen Ressourceneffizienz sind auch die eingesetzten Chemikalien problematisch“, ergänzt Dr. Torsten Sehl, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungszentrum Jülich und zuständig für Industriekooperationen. „Insbesondere sind das giftige Schwermetalle, die in der Umwelt nicht abgebaut werden können. Wir arbeiten deshalb gemeinsam an einem neuen Verfahren, das ökologisch und ökonomisch große Vorteile hat.“

Natürliche Proteine steuern chemische Prozesse passgenau

Das Stichwort dazu heißt Biokatalyse und meint in diesem Fall nichts anderes, als herkömmliche Verfahren durch biologisch inspirierte zu ersetzen. Enzyme sind der Schlüssel dazu, jene Eiweißbausteine, die im Körper als Motor der unterschiedlichsten Stoffwechselprozesse fungieren. Enzyme sind hochkomplexe Verbindungen – verglichen mit den beschriebenen Diolen ähneln sie Urwaldgiganten mit stark verästelter Baumkrone. Entsprechend komplex ist ihr biochemisches Verhalten. So können Enzyme sehr gezielt chemische Reaktionen beschleunigen oder auslösen. Zum Beispiel: Chirale Diole nur in der einen benötigten Variante herstellen. „Aufgrund der räumlichen Struktur des Enzyms passt nur die gewünschte Variante des Diols wie der Schlüssel ins Schloss“, erläutert Daußmann, „so wird eine theoretische Ausbeute von 100 Prozent möglich. Und wir denken durchaus, dass wir bei der realen Ausbeute auf 90 Prozent kommen können.“

Dass enzymatische Prozesse dies vermögen, ist weit mehr als Theorie für Daußmann. Er hat bereits 2013 das chinesisch-deutsche Joint Venture Enzymaster Bioengineering mitgegründet. Das Unternehmen hat sich darauf spezialisiert, enzymatische Verfahren für die Industrie zu entwickeln und zur Anwendung zu bringen. Mit dem Verfahren zur Diol-Produktion möchte Daußmann die Herstellung hochpreisiger Chemikalien unter europäischen Sicherheits- und Umweltstandards wettbewerbsfähig machen. „Derzeit werden diese Stoffe oft im Ausland produziert. Es besteht eine starke Nachfrage nach Technologien, die eine nachhaltige und effiziente Herstellung dieser wertvollen Bausteine nach EU-Maßstäben ermöglichen.“

Vom Computer über das Labor in die Fabrik

In den kommenden zwölf Monaten soll dazu ein Verfahren konkretisiert, im Labor verfeinert und schließlich auf technische Maßstäbe vergrößert werden. Die Arbeiten starten bei der Enzymaster, die mit Düsseldorf und Hilden zwei Standorte in Nordrhein-Westfalen unterhält. Hier wird zunächst aus einer Vielzahl bekannter natürlicher Enzyme eine Vorauswahl geeigneter Kandidaten getroffen. Deren Strukturen werden dann am Computer räumlich dargestellt und können sogar mittels bioinformatischer Methoden digital gestaltet werden, bis ein für die gewünschte Reaktion ideales Enzym gefunden ist. Auf dieser Grundlage kann schließlich eine DNA-Sequenz ermittelt werden, die notwendig ist, um das optimale Enzym herzustellen.

Diese Arbeit übernehmen Bakterien. Am Forschungszentrum Jülich wird ihnen dazu die ermittelte DNA-Sequenz eingepflanzt und ihr Organismus auf diese Weise programmiert, das gewünschte Enzym zu produzieren. Erst dann beginnt die eigentliche Diol-Produktion. Untersucht wird vor allem, zu welchen Bedingungen dazu das Enzym mit anderen Ausgangssubstanzen zusammengebracht werden muss. „Wir wollen die Stellschrauben kennenlernen, unter denen das Enzym arbeitet, und herausfinden, wie das ökonomische und ökologische Potenzial optimal ausgeschöpft werden kann“, erläutert Sehl.

Sobald diese Optimierung abgeschlossen ist, geht es daran, den Prozess aus dem Labor heraus auf ein technisches Niveau zu heben. „Hier arbeiten wir von Anfang an eng mit der Verfahrenstechnik der RWTH zusammen. In der NGP²-Bioraffinerie der Aachener Verfahrenstechnik AVT können unsere Reaktionen in den 25-, 50- und 100-Liter-Maßstab skaliert werden“, beschreibt Sehl. An der Fluidverfahrenstechnik unter der Leitung von Prof. Andreas Jupke beschäftigt man sich mit dem sogenannten Downstream Processing, dem Teil der Produktionskette, in der das Diol von der Reaktionsflüssigkeit abgetrennt und gereinigt wird. „Das Ergebnis der Machbarkeitsstudie im Technikumsmaßstab ist ein erster Schritt zu einem industrietauglichen Prozess zur Herstellung der gesuchten Diole“, fasst Daußmann zusammen. „Sehr ressourceneffizient, unter Verwendung biologisch abbaubarer Enzyme und damit umweltschonend und wettbewerbsfähig gleichermaßen. Auf dieser Basis wollen wir hier in Europa die Produktion starten.“

Brücke zwischen akademischer Forschung und industrieller Anwendung

Der Geschäftsführer von Enzymaster Deutschland sieht gute Marktchancen für die so produzierten Diole und hat bereits einen Kreis von Interessentinnen und Interessenten akquiriert. Fast ebenso wichtig ist für die Projektbeteiligten jedoch die Chance, mit Hilfe des Sonderprogramms Umweltwirtschaft einen auf Biokatalyse begründeten Produktionsprozess gemeinsam von der ersten Idee auf dem Papier bis zur industrietechnischen Reife zu bringen. Dabei birgt die Enzymtechnologie große Potenziale, auch andere komplexe Substanzen effizienter und umweltfreundlicher herzustellen. „Wir forschen seit einiger Zeit daran, pharmazeutische Wirkstoffe direkt auf diesem Wege herzustellen“, beschreibt Sehl die Perspektive, „und hier in Nordrhein-Westfalen haben wir die richtigen Partner dafür beisammen. Die enge Zusammenarbeit mit einem Industrieunternehmen wie Enzymaster und der Verfahrenstechnik der RWTH Aachen ist eine einmalige Chance. Eine Brücke, um einen ökonomisch und ökologisch sinnvollen Prozess in die Anwendung zu bringen.“

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Das Projekt „InnoEnz Diol“ wird im Rahmen der Umweltwirtschaftsstrategie des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert. Das Projektkonsortium arbeitet an einem effizienten und umweltschonenden Verfahren, um wertvolle Diole mit Hilfe von Enzymen nachhaltig zu produzieren. Umweltwirtschaft – Vorsprung für NRW.

Projekt

InnoEnz Diol

Kontakt

Dr. Thomas Daußmann
t.daussmann(at)avoid-unrequested-mailsenzymaster.de

Projektleitung

Enzymaster Deutschland GmbH

Projektpartner

Forschungszentrum Jülich GmbH, Abteilung IBG-1: Biotechnologie
RWTH Aachen University, Aachener Verfahrenstechnik, Lehrstuhl für Fluidverfahrenstechnik

www.enzymaster.de