Klein aber nachhaltig

Die Organic Tiny Houses aus NRW

Düsseldorf/Kierspe, 16.06.2021 • Ein Besuch im historischen Wikingerdorf brachte die Geschwister Lisa und Timo Gelzhäuser auf die Idee mit den kleinen Holzhäusern. Ihre Vision: Jeder kann sein individuelles Tiny House online selbst zusammenstellen. Gefertigt wird anschließend mit regionalen Partnern dort, wo das Haus stehen soll. Click & Live-in, sozusagen. Das Vorhaben wird gemeinsam mit der TU Dortmund und der Softwarefirma Camalot aus Iserlohn entwickelt und durch das Sonderprogramm Umweltwirtschaft des NRW-Umweltministeriums gefördert.

Tiny Houses liegen voll im Trend. Es geht dabei um mehr als nur kleine, „winzige“ Häuser zu bauen. Mit weniger im Leben auszukommen und demzufolge auch beim Wohnen zugunsten von Geldbeutel und Umwelt auf das Prinzip „Weniger ist mehr“ zu setzen, diese Idee genießt mittlerweile als sogenanntes Tiny House Movement gar den Rang einer gesellschaftlichen Bewegung. Ihren Anfang nahm diese in den USA und hat sich mittlerweile auch in Europa ausgebreitet. Wohn- und Trendmagazine sorgen für eine breite Öffentlichkeit und inszenieren den reduzierten Lebensstil. Man kann darin die Zeichen einer neuen Zeit erkennen: Hip und nachhaltig gehen heute gut zusammen. Man kann das Ganze auch als pragmatische Verbindung von Klimaschutz und Eigenheim beschreiben. Einen Weg, die eigene Zukunft in die Hand zu nehmen.

Cradle-to-Cradle nach Wikingerart

„Unsere Organic Tiny Houses können kreativ nach eigenen Wünschen gestaltet werden, egal ob zu Wohn- oder Gewerbezwecken. Wir verwenden überwiegend nachhaltige Rohstoffe und orientieren uns am Cradle-to-Cradle-Prinzip, sodass alle wesentlichen Baumaterialien wiederverwendet werden können“, erklärt Lisa Gelzhäuser, Geschäftsführerin der Gelzhäuser Forst. Das wichtigste unter diesen Baumaterialien ist Holz aus dem eigenen Wald. „Das ist allein schon für den Klimaschutz sinnvoll“, erläutert ihr Bruder Timo Gelzhäuser, der mit ihr zusammen den Familienbetrieb im sauerländischen Kierspe führt. „Ein Baum nimmt CO2 auf und bindet es. Je länger das Holz verbaut ist, desto besser ist die Klimabilanz.“

Die erste Idee zu den kleinen Holzhäusern entstand bei einem Familienausflug in ein historisches Wikingerdorf. Ein nachgebautes Haus in Blockbauweise gab den Anstoß und setzte eine ganze Kette von Entwicklungen in Gang. Da ist zum einen die Holzkonstruktion, für die die Geschwister eine Holzbohle mit Nut-Feder-Profil verwenden. Die nächste Innovation ist prinzipieller Natur. Die Häuser sind aus einzelnen Modulen zusammengestellt, eine Bauweise, die sich die Gelzhäusers abgeschaut haben: „Es ist auch ein Trend, sich Häuser aus Überseecontainern zu bauen. Das hat uns inspiriert“, sagt Timo Gelzhäuser.

Online bestellen, lokal fertigen

Viele weitere Ideen sollen in den kommenden Monaten weiterentwickelt und schließlich auch in einem Prototypen umgesetzt werden. Der Projektpartner TU Dortmund ist dabei für den technischen Teil zuständig, entwickelt die Statik, die Dämmung und die Verbindungen der Module untereinander. In Zusammenarbeit mit der Softwarefirma Camalot ist außerdem ein Online-Konfigurator geplant, der es künftig erlauben soll, das eigene Tiny House aus Modulbausteinen ganz nach Geschmack und Budget am Rechner zusammenzustellen: „Unsere Kundinnen und Kunden sollen sich ein preiswertes Haus bauen können und dafür auch verschiedene Optionen probieren, zum Beispiel verschiedene Fenster und Türen oder eine bestimmte Dachform. Man sieht dann direkt, wie sich das preislich auswirkt“, beschreibt Timo Gelzhäuser das Prinzip. Wenn dieser Vorgang abgeschlossen ist, generiert das Programm alle nötigen Unterlagen, um eine Bauvoranfrage bei den lokalen Behörden einzureichen.

Auch der weitere Ablauf ist pfiffig: So soll der Online-Konfigurator nach Abschluss des Bestellvorgangs alle Fertigungsunterlagen automatisch zusammenstellen. Und zwar so, dass die Fertigung durch einen lokalen Partner der Gelshäusers übernommen werden kann. Je nachdem, ob das Haus im Münsterland, in Bayern oder Brandenburg errichtet wird, sollen dort die örtlichen Zimmereien anhand der Dateien die nötigen Zuschnitte machen und das Ganze als fertigen Bausatz zum späteren Standort liefern können.

Die Geschwister rechnen mit großem Interesse an ihren Tiny Houses. Unternehmen zählen sie ebenso zu den möglichen Abnehmern wir junge Familien oder ältere Paare. Die Holzmodule eignen sich als Wohnhäuser, als Ferienhäuser oder Büros und auch dazu, großstädtische Baulücken zu füllen. Auch als zusätzliches Dachgeschoss für die Aufstockung von Bestandsgebäuden kommen die Holzmodule infrage. Neben der umwelt- und klimafreundlichen Bauweise ist ihre Flexibilität ein großes Plus: „Jeder kann sich sein Häuschen designen, wie groß es sein soll, wie lang, wie breit, wie hoch. Barrierefrei planen und bauen wir sowieso. Und falls Nachwuchs kommt oder die Anforderungen an das Büro sich ändern, kann man einfach ein neues Modul anbauen“, erklärt Timo Gelzhäuser.

Nachhaltigkeit als Familienprinzip

So zukunftsorientiert und technikfreudig diese Ideen sind, so deutlich ist den Geschwistern auch anzumerken, wie sehr ihnen das nachhaltige Wirtschaften insgesamt am Herzen liegt. Dabei pflegen Lisa und Timo Gelzhäuser quasi von Berufs wegen ein traditionsbewusstes Verständnis von Nachhaltigkeit. Bereits in vierter Generation führen sie den Forstbetrieb der Familie im Sauerland und bewirtschaften den eigenen Wald. Nicht zuletzt stammt ja auch der Begriff der Nachhaltigkeit ursprünglich aus der Forstwirtschaft. Hier denkt man in Generationen: Man lebt von der Arbeit der Vorfahren. Und der Wald, den man heute pflanzt, den ernten vermutlich erst die Kinder oder Enkel.

Zumindest war das immer so, bis die Auswirkungen des globalen Klimawandels spürbar wurden. „Wir werden für die nächsten 40 bis 80 Jahre zu wenig Wald haben, um davon leben zu können“, bringt Lisa Gelzhäuser die aktuelle Lage auf den Punkt. Die Trockenheit und Hitze der vergangenen Jahre haben den Wald geschwächt und einem Fressfeind wehrlos ausgeliefert: dem Borkenkäfer. Die befallenen Bäume mussten gefällt werden. Große Waldgebiete in ganz Europa sind dem Schädling so zum Opfer gefallen. Neben den ökologischen sind auch die ökonomischen Folgen beträchtlich. Das viele Holz, das auf einmal entnommen wurde, hat den Markt überschwemmt und die Preise für Rohholz gedrückt. Im Gegensatz dazu haben mittlerweile die Preise für Schnittholz kräftig angezogen, dennoch stehen viele Forstbetriebe finanziell mit dem Rücken zu Wand.

Käferholz und regionaler Absatz für Forstbetriebe

Angesichts dieser paradoxen Gemengelage entstand die Idee, die Organic Tiny Houses aus eben diesem Holz zu fertigen, das aufgrund der Borkenkäferplage geschlagen werden musste. Die bauliche Qualität ist nämlich in der Regel unbeeinträchtigt. Und das Potenzial damit so groß wie das Problem: Im Jahr 2020 betrug die Schadholzmenge in Nordrhein-Westfalen nach Angaben des Landesumweltministeriums 12,9 Millionen Kubikmeter Nadelholz und für 2021 wurden allein im ersten Quartal 1,2 Millionen Kubikmeter Schadholz zusätzlich gemeldet. Hinzu kommen Bäume, die aufgrund von Baumaßnahmen gerodet werden müssen oder weil sie erkrankt sind. Auch diese sollen in Tiny Houses Verwendung finden.

„Als Forstbetrieb möchten wir erproben, wie ein verlässlicher regionaler Absatz die nachhaltige Bewirtschaftung und den klimagerechten Umbau der Wälder auch zukünftig sicherstellen kann“, sagt Lisa Gelzhäuser. „Das ist auch ein Versprechen an unsere Kundinnen und Kunden: Für jedes Tiny House, das wir bauen, pflanzen wir mindestens 50 bis 100 junge Bäume an.“

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Das Projekt „Organic Tiny Houses“ wird im Rahmen der Umweltwirtschaftsstrategie des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert. Das Projektkonsortium arbeitet an nachhaltigen Holzhäusern in Modulbauweise, die online konfiguriert und mit lokalen Partnern am späteren Standort gefertigt werden können. Umweltwirtschaft – Vorsprung für NRW.

Projekt

Organic Tiny Houses

Kontakt

Lisa Gelzhäuser, Timo Gelzhäuser
forst(at)avoid-unrequested-mailsgelzhaeuser.de

Projektleitung

Gelzhäuser Forst

Projektpartner

TU Dortmund, Fakultät für Architektur und Bauingenieurwesen, Lehrstuhl Statik und Dynamik
Camalot, Alexander Gerstmann & David Lucas GbR

www.gelzhaeuser-forst.de