Schmackhafter Fleischersatz, regional produziert und vegan

Das rundum nachhaltige Burgerpatty

Düsseldorf/Siegen, 05.05.2021 • Wenn das nicht allzu sehr nach Nutztier klänge, könnte man sagen, das Quh-Lab aus Nordrhein-Westfalen hat jüngst die eierlegende Wollmilchsau erfunden: einen Fleischersatz, der ganz ohne tierische Zusätze auskommt, der wichtige Vitamine enthält und regional produziert wird. Zu seiner Herstellung werden ohnehin anfallende Reststoffe aus der Zuckerindustrie genutzt, die bis heute bestenfalls als Tierfutter verwertet werden. Das Projekt hat im April 2021 den Zuschlag für eine Förderung im Rahmen des Sonderprogramms Umweltwirtschaft des NRW-Umweltministeriums erhalten.

Alternativen zum Fleischkonsum sind voll im Trend. Klimaschutz, der Gedanke des nachhaltigen Wirtschaftens mit natürlichen Ressourcen und Fragen der gesunden Ernährung sind wichtige Aspekte, die diesen Trend befeuern. Und während früher höchstens der Tofu einer breiteren Öffentlichkeit bekannt war, gibt es heute Fleischersatz in verschiedenster Form in beinahe jedem Supermarkt zu kaufen. Einzelne Produkte haben mit ihrer Markteinführung sogar einen regelrechten Boom ausgelöst. Die Menschen standen Schlange, um neue Pflanzenburger kaufen zu können – vor wenigen Jahren noch undenkbar.

Trotz allem sind – je nachdem, welchen Maßstab man anlegt – die gängigen Fleischersatzprodukte nicht für jede oder jeden überzeugend. „Bei den meisten Fleischersatzprodukten werden tierische Stoffe zugesetzt: Hühnereiweiß für die Bindefähigkeit oder Molkenprotein, um den Proteingehalt zu erhöhen“, sagt die Lebensmittelchemikerin Manuela Bedenbender, Projektleiterin beim Quh-Lab Lebensmittelsicherheit in Siegen. Auch die weit verbreiteten Sojaprodukte sind nicht uneingeschränkt zu empfehlen. „Soja ist ein Allergen, und auch der Flächenverbrauch für den Sojaanbau und die weiten Transportwege werden kritisch diskutiert. Unsere Idee war ein veganer Fleischersatz, der möglichst aus regionalen Rohstoffen produziert werden kann: der Rübenschnitzelburger.“ Doch anders als dieser Name vermuten lässt, handelt es sich dabei nicht um ein Produkt aus Rüben. Diese dienen – in ausgekochter, zerkleinerter Form, wie sie am Ende der Zuckerherstellung übrig bleiben – lediglich als Nährboden für den eigentlichen Fleischersatz: einen Pilz.

„Wir verwenden einen engen Verwandten des Austernpilzes, den man vom Waldspaziergang kennt“, erläutert Bedenbender, „Allerdings verarbeiten wir nicht den Fruchtkörper, wir kultivieren das Myzel. Das ist der Teil vom Pilz, der unsichtbar im Waldboden oder bei Baumpilzen im Holz wächst.“ Das Myzel wird angebaut, mit einem Substrat aus Rübenschnitzeln gefüttert und kann schließlich geerntet werden. Das so gewonnene Pilzgewebe wird gereinigt und dient als Ausgangsstoff für verschiedene Fleischersatzprodukte.

Veganes Protein und Vitamine nach patentiertem Verfahren

Der Fermentationsprozess zur Kultivierung des Myzels geschieht in sogenannten Bioreaktoren. „Man kann sich das wie einen Braukessel vorstellen. Zusätzlich sind unterschiedliche Sensoren darin, um den Prozess zu überwachen: Eine pH-Elektrode misst den Säuregrad, eine andere Elektrode bestimmt den Sauerstoffgehalt im Medium und zudem ist ein Temperaturfühler installiert. So können wir die idealen Wachstumsbedingungen für das Pilzmyzel herstellen und über einen längeren Zeitraum beibehalten“, erläutert Bedenbender. Besondere Mikroorganismen sorgen in einem bereits patentierten Verfahren dafür, dass sich das Vitamin B12 bildet und im Pilzgewebe anreichert. Außerdem befindet sich eine Vorstufe des Vitamins D2 in der Zellwand des Pilzes und kann durch Behandlung mit UV-Licht aktiviert werden, so dass es beim späteren Verzehr für den Menschen verwertbar ist. Das ist besonders deshalb von Vorteil, weil beide Vitamine zu den Mangelvitaminen zählen, die vielen Menschen heute fehlen. Und gerade der vegane Speiseplan ist oft besonders arm an Vitamin B12.

Der ganze Prozess läuft derzeit noch im Labor ab. Ihn auf größeren Maßstab zu bringen, ist ein wesentlicher Teil des geförderten Projekts, das bis Mitte 2022 läuft. Unterstützende Projektpartner sind die Justus-Liebig-Universität Gießen und die RWTH Aachen University. Der Arbeitsplan ist ambitioniert. Zunächst wird nach dem perfekten Pilz gesucht: Aus etwa 100 Stämmen, die die Universität Gießen zur Verfügung stellt, werden diejenigen ausgewählt, die das Substrat aus Rübenschnitzeln am besten verwerten können. Dann wird das Aromaprofil geprüft und der Stamm mit dem besten Geruch und Geschmack ausgewählt. Ist dieser gefunden, soll das Verfahren zu seiner Kultivierung weiterentwickelt werden, um auch größere Mengen verarbeiten zu können. „In der Prozesstechnik unterstützt uns maßgeblich die RWTH Aachen, um effizienter zu werden, aber auch mit neuen Sensoren, etwa um den Zuckergehalt während des Prozesses kontinuierlich messen zu können.“ Nach Abschluss des Projekts soll neben dem optimalen Pilzstamm und einem ausgeklügelten Verfahren bereits Essbares auf dem Tisch stehen: „Am Ende werden wir mit Partnerunternehmen Rezepturen entwickeln und die ersten Prototypen verkosten: vegane und vitaminreiche Burgerpatties, Bratwürste, Wienerwürstchen und Leberwurst. Das ist der Plan.“

Einiges spricht dafür, dass diese Prototypen neben Nährstoffen auch kulinarischen Genuss bieten werden. Neben geschmacklichen Vorzügen verfügt das Pilzgewebe bereits von Natur aus über eine Struktur, die der von Fleisch näher kommt als bei vergleichbaren Ersatzprodukten. Dennoch kommt bei alldem leicht der Eindruck eines eher technischen Lebensmittels auf. Bedenbender widerspricht: „Die Menschheit fermentiert Lebensmittel seit Tausenden von Jahren, sei es beim Bierbrauen, bei der Käseherstellung oder beim Brotbacken. Wir benutzen Pilze, die man auch natürlicherweise im Wald finden kann. Sie wachsen auf natürlichen Substraten und sind nicht so hoch verarbeitet wie einige der Fleischprodukte, die man im Supermarkt findet.“

Gute Rohstoffbasis

Das Ausgangsmaterial findet sich gleich in Nordrhein-Westfalen. Das Bundesland beheimatet große Kapazitäten der deutschen Zuckerindustrie, die kurzen Transportwege sind ein fester Bestandteil des Konzepts. Zugleich bilden das Rheinland zwischen Bonn und Krefeld und Westfalen mit insgesamt 59.000 Hektar Anbaufläche und einer Ernte von 4,453 Mio. Tonnen (2019, Quelle: IT NRW) wichtige Zuckerrüben-Standorte in Deutschland. Für Nachschub ist also gesorgt. Dabei ist es Bedenbender wichtig klarzustellen: „Wir brauchen keine Anbauflächen. Wir nehmen nur das, was hier regional sowieso anfällt: Die Reste und Nebenströme aus der Zuckerproduktion.“

Der Tipp mit dem Sonderprogramm

Die Förderung durch das NRW-Umweltministerium beschleunigt den entscheidenden Schritt von der Idee zur Umsetzung. „Wir sind vor allem ein Labor für Lebensmittelsicherheit“, sagt Bedenbender, „die Idee ist bei uns aus der täglichen Arbeit heraus entstanden: Es müsste doch schmackhaften Fleischersatz geben, regional produziert und hundertprozentig vegan. Wir arbeiten schon eine ganze Weile daran.“ Über einen Kontakt im Bio-Security Partnernetzwerk haben die Siegener dann vom Sonderprogramm Umweltwirtschaft des Landes NRW erfahren und ein Projekt auf die Beine gestellt, um aus der Idee ein marktfähiges Produkt zu machen.

Für die Zukunft sehen sie einiges an Wachstumspotenzial. Die Pläne für eine spätere Verwertung sind realistisch und zugleich visionär: „Wir wollen erstmal regional bleiben, es wird noch einige Jahre dauern bis wir im Großmaßstab produzieren können. Später gehen wir damit vielleicht ins Ausland, aber auch hier würden wir zuerst sehen, dass wir mit regionalen Zulieferern arbeiten, um nicht die langen Lieferwege zu haben.“

***

Das Projekt „Rübenschnitzelburger“ des Quh-Lab Lebensmittelsicherheit aus Siegen wird im Rahmen der Umweltwirtschaftsstrategie des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert. Das Projektkonsortium entwickelt einen schmackhaften und vitaminhaltigen Fleischersatz, der ohne tierische Zusatzstoffe aus regional abfallenden Reststoffen erzeugt wird. Umweltwirtschaft – Vorsprung für NRW.

Projekt

Rübenschnitzelburger

Kontakt

Manuela Bedenbender
info(at)avoid-unrequested-mailsquh-lab.de

Projektleitung

Quh-Lab Lebensmittelsicherheit, Siegen

Projektpartner

Justus-Liebig-Universität Gießen
RWTH Aachen University

www.quh-lab.de