Düsseldorf/Rheinbach, 13.11.2024 • Mit biobasierten Wirkstoffen Erdölprodukte in der Kosmetikindustrie zu ersetzen, ist das Ziel der Mycolever GmbH aus Rheinbach. Dabei produzieren ausgewählte Pilzkulturen die gewünschten Substanzen. Mit dem mehrjährigen Projekt „MycoMatch“ geht das Unternehmen einen Schritt weiter: Je nach gewünschtem Wirkstoff soll eine Software künftig die Suche nach passenden Pilzkulturen stark beschleunigen. Das Vorhaben wird im Rahmen des Wettbewerbs Grüne Gründungen.NRW gefördert durch Land und EU.
Kein Wein, kein Brot, kein Brie – und die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Die menschliche Ernährung wäre um etliche Höhepunkte ärmer, wenn es keine Pilze gäbe. Und damit sind nicht nur die bekannten Speisepilze gemeint. Vorrangig verschiedenste einzellige Pilzkulturen sorgen dafür, dass Traubensaft vergärt, Sauerteig treibt und der Brie seinen typischen Geschmack entfaltet. Dabei arbeiten sie wie eine biochemische Fabrik, die aus einem Ausgangsprodukt ein bestimmtes Endprodukt erzeugen. So wird aus dem Zucker im Traubenmost der Alkohol im Wein. Pilzkulturen verstehen sich gut darauf, komplexe Kohlenstoffverbindungen zu produzieren. Diese besondere Fähigkeit macht man sich in Rheinbach zunutze.
„Wir ersetzen erdölbasierte Substanzen in der Kosmetik durch nachhaltige Alternativen“, sagt Dr. Britta Winterberg, Mitgründerin und Geschäftsführerin der Mycolever GmbH. „Dazu füttern wir Pilze mit pflanzlichen Rohstoffen und lassen sie die gewünschten Stoffe produzieren. Dabei sparen wir sehr viel Energie und der gesamte Vorgang ist nahezu CO2-neutral.“
Vom Erdöl zum Pilz
Viele Produkte des täglichen Bedarfs werden aus Erdöl gewonnen. Erdöl ist über Jahrmillionen aus abgestorbenen Pflanzen und Tieren entstanden. Noch heute enthält es daher die Grundbausteine des Lebens, allerdings in bunter Mischung: In den sogenannten Kohlenwasserstoffen bilden viele Kohlenstoff- und Wasserstoffatome Ketten von unterschiedlicher Länge, die hier und da mit anderen Atomen durchsetzt sind. Aus diesem Mix lassen sich die verschiedensten Substanzen gewinnen, angefangen bei Benzin und Diesel über Kunststoffe bis hin zu den Wirkstoffen für Wasch-, Putz- und Pflanzenschutzmitteln, Kosmetika und vieles mehr. Dazu werden die langen Kohlenwasserstoffketten industriell aufgebrochen (Cracking) und aus den Einzelteilen neue Moleküle zusammengesetzt. Dies alles kostet sehr viel Energie. Und oft liefert es Substanzen, die in der Natur so nicht vorkommen, obwohl sie ihr vielleicht nachempfunden sind und aus den gleichen Bausteinen bestehen. Oft dauert es daher sehr lange, bis diese Substanzen in der Umwelt abgebaut werden.
Pilze könnten helfen, Erdölprodukte durch nachhaltig produzierte Alternativen zu ersetzen. Sie werden dazu mit Pflanzen gefüttert. In ihrem Stoffwechsel werden die komplexen Kohlenstoff-Wasserstoff-Strukturen der Pflanzen aufgespalten und neu zusammengesetzt. Die dabei entstehenden Stoffe sind in der Regel komplexer als künstlich hergestellte. Auch kommen sie in der Natur vor und bieten mehr Angriffsfläche für natürliche Prozesse. Sie sind also fast immer sehr gut biologisch abbaubar. „Wir versuchen nicht, mit Pilzkulturen künstliche Substanzen nachzubauen. Wir schauen in die Biodiversität, um natürliche Stoffwechselprodukte zu finden, die dazu verwendet werden können, künstliche Wirkstoffe zu ersetzen“, beschreibt Winterberg ihr Vorgehen.
Damit dies gelingt, gilt es zunächst, eine Pilzkultur zu finden, die einen Stoff mit den gesuchten Eigenschaften produzieren kann. Dann werden in einem aufwändigen Entwicklungsprozess die perfekten Rahmenbedingungen für den Vorgang erkundet. Am Ende steht eine Rezeptur, mit deren Hilfe das gewünschte Produkt in größeren Mengen und einheitlicher Qualität hergestellt werden kann. Die erste Substanz, die Mycolever auf diese Weise anbieten will, ist ein Tensid: so nennt man waschaktive Substanzen, die auch als Emulgator zum Beispiel in Hautcremes verwendet werden. Das Produkt steht kurz vor der Marktreife, der Bedarf ist groß. „Allein die Produktion von Tensiden verursacht fast dieselben CO2-Emissionen wie das komplette Land Finnland, fast 50 Millionen Tonnen im Jahr. Und wir wollen dazu beitragen, diese Menge zu reduzieren“, sagt Winterberg.
Virtuelles Pilzesuchen
Doch wie findet man die passende Pilzkultur? Keine geringe Aufgabe, denn schließlich gibt es geschätzt 2,2 bis 5 Millionen Pilzarten auf der Erde und bloß etwa 100.000 davon sind inzwischen wissenschaftlich beschrieben. Genau hier setzt das Projekt MycoMatch an, das Winterberg nun mit Hilfe der EU- und Landesförderung realisieren will. Das Ziel ist eine Art Suchmaschine für Pilzkulturen. „Angenommen, ein Kunde will das Mikroplastik in einer Pflegecreme ersetzen und sucht eine Substanz mit bestimmen Eigenschaften, die außerdem auf nachhaltige Weise gewonnen wird und biologisch abbaubar ist. Jetzt stellt sich die Frage: Welches natürliche Stoffwechselprodukt hat die gewünschten Eigenschaften und welche Pilzkultur kann es herstellen? Das System, das wir entwickeln, soll diese Frage beantworten, mit Hilfe der Bioinformatik“, so die Gründerin.
Welche Muster zeigt ein Gencode und wie wirken sich diese aus? Welche Proteine interagieren im Organismus auf welche Weise? Fragen wie diese werden mit Hilfe bioinformatischer Methoden am Computer geklärt. Auf diese Weise gelang die Entschlüsselung des menschlichen Genoms. Auch neue medizinische Wirkstoffe werden so gesucht und ihre Wirkungsweise nachvollzogen. Das Gleiche geschieht bei MycoMatch. „Wir füttern unsere Plattform mit einer Vielzahl biologischer Daten: Das sind zum Beispiel Genome von Pilzkulturen, von denen schon sehr viele sequenziert wurden, hinzu kommen wissenschaftliche Publikationen, Patente und natürlich die Ergebnisse eigener Laboruntersuchungen“, sagt Winterberg. „Darin suchen wir nach Mustern und verknüpfen die Informationen miteinander. Am Ende wollen wir einen Überblick erhalten über möglichst viele interessante Substanzen. Dann wird es möglich sein, aus den Genomdaten einer Kultur Rückschlüsse auf interessante Stoffwechselprodukte zu ziehen, also Vorhersagen zu treffen, um weitere Untersuchungen zu machen und auch das bisher unkartierte Gelände der Pilzkulturen gezielter zu durchsuchen.“
Die Arbeit an der Plattform wird etwa zweieinhalb Jahre benötigen. In dieser Zeit wird die Software entwickelt, es werden Daten ausfindig gemacht und eingepflegt und daneben zahlreiche Pilzstämme im Labor überprüft und validiert. „Dabei wollen wir schon möglichst früh auch mit potenziellen Kunden sprechen, zunächst einmal konzentrieren wir uns auf die Kosmetikbranche. Neben den Tensiden werden hier viele weitere Stoffe benötigt, etwa Gel-Bildner und Ersatz für Mikroplastik.“
Kosmetik, Landwirtschaft und mehr
Grundsätzlich kann die Methode in verschiedensten Branchen genutzt werden. Für die Kosmetik sprechen wirtschaftliche und praktische Überlegungen. So sind die benötigten Mengen an Wirksubstanzen geringer und der Preis ist nicht das einzige Kriterium für ihren Einsatz. Das könnte sich auszahlen, denn die pilzbasierten Wirkstoffe sind häufig in mehrfacher Hinsicht nützlich. „Unser Tensid hat nicht nur die Eigenschaft eines Emulgators, sondern ist zusätzlich auch förderlich für die Hautgesundheit. Nach bisherigen Untersuchungen verbessert es die Zellregeneration und fördert die Wundheilung“, sagt die Biologin. Aus ähnlichen Gründen sieht sie bereits ein Potenzial in der Landwirtschaft.
Beste Aussichten also für das junge Unternehmen aus Rheinbach. Dass sie überhaupt einmal eines gründen könnte, hätte Britta Winterberg noch während ihres Studiums kaum in Betracht gezogen. Bevor sie sich mit Mycolever selbständig machte, war sie bereits für ein anderes Start-up tätig, das heute mit veganem Käse zu den Pionieren zählt. „Mir ist damals klar geworden, ich kann als Wissenschaftlerin mehr tun, als meinen Müll trennen, Wasser sparen und Solarenergie nutzen. Ich habe dank meiner Ausbildung die Chance, etwas Eigenes dazu beizutragen, dass die CO2-Emissionen weltweit runtergehen. Das treibt mich an.“
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Das Projekt „MycoMatch“ wird durch den Wettbewerb Grüne Gründungen.NRW im Rahmen der Umweltwirtschaftsstrategie des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert durch die EU und das Land NRW. Um erdölbasierte Wirkstoffe in der Kosmetik und Landwirtschaft durch natürliche Alternativen zu ersetzen, soll eine Softwareplattform dabei helfen, Pilzkulturen und ihre Stoffwechselprodukte zu identifizieren und nutzbar zu machen. #MeilensteineGreenNRW.