Düsseldorf/Essen, 08.11.2024 • Mit einer hocheffizienten Methode, um CO2 aus der Atmosphäre zu waschen, hat Greenlyte Carbon Technologies bereits für Schlagzeilen gesorgt. Nach erfolgreichem Betrieb einer großen Demonstrationsanlage entwickelt das Start-up aus Essen nun einen optimierten Prototyp für die industrielle Nutzung. Das Projekt „Prototyp für eine hocheffiziente und robuste Direct Air Capture Pilotanlage“ wird im Rahmen des Wettbewerbs Grüne Gründungen.NRW gefördert durch Land und EU.
Den Ausstoß von CO2 zu vermeiden, ist weltweites Ziel im Kampf gegen den Klimawandel. Um dies zu erreichen, sollen E-Mobilität, Wasserstoffbrennstoffzellen und viele weitere Technologien helfen. Doch was, wenn all dies nicht ausreicht? Denn noch immer gibt es zahlreiche industrielle Prozesse, bei denen eine vollständige Umstellung auf erneuerbaren Strom oder Wasserstoff schwer umsetzbar ist – und auf die man zudem nicht vollständig verzichten kann. Eine Idee, die Abhilfe verspricht, nennt sich Direct Air Capture (DAC).
„Wir entwickeln eine Technologie, die CO2 hocheffizient aus der Luft abscheiden kann“, sagt Martin Schmickler, der als Chief of Staff bei Greenlyte Carbon Technologies die aktuellen Forschungsprojekte koordiniert. Das Unternehmen wurde 2022 als Spin-off der Universität Duisburg-Essen gegründet und beschäftigt knapp zwei Jahre später bereits 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das zugrunde liegende Verfahren hat auch die Investoren überzeugt. „Letzten Herbst haben wir hier in Essen eine Demonstrationsanlage mit einer Absorptionskapazität von 100 Tonnen CO2 pro Jahr in Betrieb genommen, das entspricht dem jährlichen Wachstum von 10.000 Bäumen. Nun führen wir alle Prozessschritte von der CO2-Abscheidung bis zur Bereitstellung für die industrielle Nutzung in einem voll automatisierten Prototyp zusammen.“
Aus ökologischer Sicht stehen natürliche Wege im Vordergrund, um CO2 aus der Atmosphäre zu binden, etwa die Wiedervernässung von Mooren oder das Anlegen von Wäldern. Und dennoch kann die DAC-Technologie diese sinnvoll ergänzen. Mit ihrer Idee sind die Essener jedenfalls nicht allein. Rund 100 Unternehmen weltweit umfasst nach Schmicklers Einschätzung die DAC-Community. Sie verfolgen im Detail recht unterschiedliche Technologien und sind teilweise noch im Ideenstadium, teilweise schon seit Jahren in der Großanwendung. Das Besondere am Greenlyte-Ansatz ist also nicht die Idee an sich, sondern deren optimale Umsetzung. „Wir sind auf lange Sicht mehr als doppelt so effizient wie die gängigen Verfahren auf dem Markt“, sagt der Wirtschaftsingenieur, „und dafür gibt es drei Gründe. Unser Verfahren benötigt keine hohen Temperaturen, es ist entkoppelbar und es liefert Wasserstoff als Nebenprodukt.“
Patentierter Ablauf, überzeugende Technologie
Was damit gemeint ist, offenbart ein näherer Blick in die Abläufe. Zwei grundlegende Abschnitte umfasst der Gesamtprozess beim DAC-Verfahren: Absorption und Desorption. Bei der Absorption wird das CO2 durch eine besondere Substanz – Absorbens genannt – aufgenommen und damit aus der Luft abgeschieden. Bei der Desorption wird das CO2 wieder vom Absorbens getrennt, um dann entweder als Rohstoff genutzt oder dauerhaft in der Erde gespeichert zu werden. Das von Greenlyte entwickelte DAC-Verfahren basiert auf einem flüssigen Absorbens und bildet den Stand der aktuellen Technik ab. „Der Prozess ist patentiert, dahinter stehen 15 Jahre Forschung. Technologisch sehe ich in unserem Verfahren den vielversprechendsten Lösungsansatz, um die Kosten der CO2-Absorption drastisch zu senken – und die sind entscheidend für die industrielle Umsetzung“
Um das CO2 aus der Luft zu bekommen, muss es mit dem Absorbens in Kontakt gebracht werden. Greenlyte realisiert dies bei Umgebungstemperatur in einem sogenannten Gaswäscher: eine Art Turm, in dessen Innerem das flüssige Absorbens durch eine besondere Struktur nach unten fließt. Das Design dieser im Fachvokabular „Packung“ genannten Struktur ist dabei entscheidend, um eine möglichst große Verteilung des Absorbens und damit eine möglichst große Oberfläche zu erreichen. Denn dort, an der Oberfläche, reagiert das Absorbens mit dem CO2 aus der Luft, die permanent im Gegenstrom von unten nach oben durch den Gaswäscher geblasen wird. Als Ergebnis dieser Reaktion bilden sich im fortlaufenden Prozess Kristalle der chemischen Verbindung Kaliumhydrogencarbonat. Es zählt zu den Salzen, ist in Mineralwässern enthalten und wird zum Beispiel auch als Backtriebmittel für Lebkuchen verwendet. Und es enthält CO2 in chemisch gebundener Form.
Vorteil dank Erneuerbarer Energien und Wasserstoff
Die Absorption nach diesem Prinzip benötigt nicht viel Energie. Letztlich muss nur Luft durch den Gaswäscher geblasen und Absorbens gepumpt werden. Das genügt, um CO2 aus der Atmosphäre zu waschen, rund um die Uhr. Anders sieht es bei der Desorption aus. Diese erfolgt bei Greenlyte per Elektrolyse und benötigt verhältnismäßig viel Strom. Angesichts dessen erweist sich eine weitere Eigenschaft des Hydrogencarbonats als Vorteil: Es ist lagerfähig. Und genau deshalb kann der Prozess „entkoppelt“ werden. Das bedeutet, die Elektrolyse wird erst dann durchgeführt, wenn genügend Grünstrom verfügbar ist, beispielsweise aus Wind- oder Solarenergieanlagen. Ein weiterer, vielleicht entscheidender Vorteil hat mit einem gefragten Energieträger zu tun: Wasserstoff.
Grüner Wasserstoff wird verwendet, um besonders energieintensive Prozesse, etwa bei der Stahlproduktion, klimaneutral zu gestalten. Eine gute Möglichkeit, grünen Wasserstoff zu produzieren, ist die Elektrolyse aus Wasser mittels erneuerbarer Energien. Gibt man dem Wasser zuvor Hydrogencarbonat bei, entsteht neben grünem Wasserstoff auch CO2. Diesen Effekt macht man sich bei Greenlyte zunutze. Die CO2-Desorption läuft quasi huckepack, während nebenbei noch Wasserstoff produziert wird. „Grüner Wasserstoff ist ein stark nachgefragtes Gut, das weiterverkauft und in Kombination mit dem desorbierten CO2 auch dazu verwendet werden kann, E-Fuels und andere Kohlenwasserstoffe zu produzieren. Bei uns entsteht er als Beiprodukt, das macht unserer Verfahren besonders wirtschaftlich“, sagt Schmickler.
Aus NRW in die Welt – Geschäftsmodell und Möglichkeiten
Im Verlauf des Förderprojekts wird ein Prototyp entstehen, der erstmalig Absorption und Desorption als integrierten Prozess zusammenbringt: „Wir wollen eine Anlage entwickeln, die Tag und Nacht läuft und kontinuierlich CO2 aus der Luft wäscht, bei diversen Umgebungstemperaturen und Umweltbedingungen. Als Endprodukte stellt sie dann verwertbares CO2 und Wasserstoff bereit.“ Auf dieser Grundlage sollen dann Anlagen verschiedenster Größenordnung in alle Welt geliefert werden. Schmickler sieht darin auch ein kommendes Geschäftsmodell für zahlreiche Spezialunternehmen im Ruhrgebiet. „Wir glauben, dass DAC-Technologien, die auf German Engineering basieren, der nächste Exportschlager werden können. Gerade hier in NRW gibt es schon sehr viele Unternehmen mit dem entsprechenden Know-how.“
Als Konkurrenz sieht Schmickler diese Unternehmen aus dem klassischen Industrie- und Anlagenbau nicht, vielmehr sieht er neue Möglichkeiten und Geschäftsfelder. „Um die internationalen Klimaziele zu erreichen, müssen auch bei ambitioniertem Klimaschutz Emissionen aus der Atmosphäre entfernt werden. Rund 10 Gigatonnen jährlich werden das 2050 sein, sagen die Prognosen. Da ist genug zu tun für die DAC-Community.“ Rein praktisch sind dafür verschiedene Geschäftsmodelle denkbar, die heute schon erprobt werden. So könnte CO2 aus der Atmosphäre eingefangen und dauerhaft unter der Erde gespeichert werden (Carbon Capture and Storage, CCS). Bezahlt würde dies über den Handel mit entsprechenden Zertifikaten. Ein weiteres Modell sieht vor, eingefangenes CO2 zu nutzen (Carbon Capture and Utilization, CCU), um daraus beispielsweise synthetische Kraftstoffe zu gewinnen. Auf diese Weise entstünde ein CO2-Nutzungskreislauf. „Unser Verfahren ist für verschiedene Geschäftsmodelle nutzbar. Das kanadische Unternehmen Deep Sky speichert zum Beispiel dauerhaft CO2 unter der Erde und hat uns soeben in einem weltweiten Anbieterwettbewerb als Technologiepartner ausgewählt. Und in Duisburg errichten und betreiben wir in den kommenden drei Jahren zusammen mit lokalen Partnern Europas erste DAC(H)-2-SNG Anlage, in der aus dem CO2 der Luft und dem zusätzlichen Wasserstoff aus unserem Prozess nachhaltiges Methan produziert wird.“
Doch zunächst soll der geförderte Prototyp bis Ende 2024 stehen und dann kontinuierlich betrieben werden. Es folgen Demonstrationsveranstaltungen, Messen, Workshops und Treffen mit Industriepartnern und möglichen Kunden. Nicht zuletzt will Greenlyte auch die Zukunft des Ruhrgebiets mitgestalten. „Wir sehen uns als Problemlöser und möchten mit anpacken, die Industrie im Revier klimafreundlich zu machen. Das ist unser Versprechen an die Region.“
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Das Projekt „Prototyp DAC“ wird im Rahmen der Umweltwirtschaftsstrategie des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert durch die EU und das Land NRW. Auf der Grundlage eines an der Universität Duisburg-Essen patentierten Verfahrens wird eine voll integrierte Pilotanlage entwickelt, die kontinuierlich CO2 aus der Luft abscheidet und hocheffizient zur Nutzung bereitstellt. #MeilensteineGreenNRW.