Klein, flexibel, effizient

Die Mikro-Dampfturbine für das Stromnetz der Zukunft

Düsseldorf/Dortmund, 01.09.2021 • Eine neuartige Mikro-Dampfturbine macht die Druckregulierung von Prozessdampf energieeffizienter. Zusätzlich soll sie im intelligenten Energiesystem der Zukunft als flexible Stromquelle Kosten senken. Das Projekt der Turbonik GmbH wird durch das Sonderprogramm Umweltwirtschaft des NRW-Umweltministeriums gefördert und zusammen mit dem Fraunhofer UMSICHT durchgeführt.

Dampfturbinen sind schweres Gerät. Eine große Kraftwerksturbine kann weit über 100 Tonnen Gewicht auf die Waage bringen und über 60 Meter lang sein. Sie läuft am besten Tag und Nacht und benötigt dafür sehr viel Dampf.

Etwas ganz anderes hat Martin Daft im Sinn, der sich als Co-Founder der Dortmunder Turbonik GmbH von Berufs wegen intensiv mit der Technik befasst: „Wir arbeiten an einer Mikro-Dampfturbine, die aus kleinen Dampfmengen viel Strom erzeugt und auch mit vielen Start- und Stoppvorgänge flexibel gefahren werden kann.“ Es geht dabei um nichts weniger, als eine verstreckte Energieressource zu erschließen.

15.000 versteckte Kleinkraftwerke in der deutschen Industrie

Viele Unternehmen verwenden Dampf. In großindustriellen Prozessen – etwa der Papier- oder der Chemieindustrie – wird die dabei anfallende Energie schon heute oft per Dampfturbine nutzbar gemacht. Die dafür verwendeten Standardturbinen arbeiten jedoch nur bei entsprechenden Dampfmengen. Zudem sind sie groß, schwer und benötigen oft spezielle Fundamente, um überhaupt aufgestellt werden zu können. Für kleinere Unternehmen, die nur wenig Prozessdampf benötigen, ist das keine Lösung. Dabei gibt es enorm viele davon.

„Brauereien, Molkereien und andere oft mittelständische Unternehmen verwenden Dampf in kleineren Mengen. Allein in Deutschland sind 15.000 Kessel der entsprechenden Größenordnung verbaut. Wenn wir alle diese versteckten Energiequellen über Mikroturbinen erschließen, erreichen wir eine Gesamtleistung von 4,5 Gigawatt. Das entspricht mehreren Kohle- oder Kernkraftwerken“, rechnet Daft. Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen des Fraunhofer UMSICHT entwickelten die Dortmunder daher eine passgenaue Lösung: die Mikro-Dampfturbine. Sie wiegt nur rund 900 Kilogramm und erreicht eine Leistung von bis zu 300 Kilowatt.

Der Weg der Energie

Doch wozu überhaupt all der Dampf? In der Industrie wird Dampf insbesondere wegen einer speziellen Eigenschaft genutzt: Abhängig vom Druck hält Dampf immer eine konstante Temperatur. Diese entspricht nicht wie beim Teekochen 100 Grad Celsius. Im Gegenteil kann man mit unterschiedlichen Drücken viele individuell benötige Temperaturen erreichen, ganz gleich ob 40, 80 oder 160 Grad. Jeder Druckstufe entspricht dabei eine Temperatur. Das kommt immer dann zum Tragen, wenn eine exakte Temperatur benötigt wird, z.B. um Milch zu pasteurisieren oder um einen Braukessel zu wärmen. „Brauprozesse laufen in engen Temperaturbereichen. Die Temperatur wird mit dem Dampfdruck konstant gehalten. Das ist viel einfacher als die Temperatur über elektrische Heizaggregate oder über Brenner zu regeln“, fasst Daft zusammen.

Wenn nun in einer Fabrik verschiedene Temperaturstufen benötigt werden, z.B. eine höhere, um die Milch zu sterilisieren und eine niedrigere, damit die Joghurtkulturen es gemütlich haben, muss der Dampf entsprechend reguliert werden. An dieser Stelle kommt die Dampfturbine ins Spiel. Denn der Dampfkessel stellt nur die jeweils höchste benötigte Druckstufe bereit. Für einen Teil der Produktion muss der Druck reduziert werden. Das wird bisher zumeist mechanisch über Ventile gemacht. Daft beschreibt das so: „Der Dampf wird um ein paar Ecken geleitet, der Druck reduziert sich und wertvolle Energie geht dabei zur weiteren Nutzung verloren. Das wollen wir vermeiden. Dazu ersetzen wir die mechanische Regelung durch unsere Mikro-Dampfturbine. Auch diese kann den Druck passgenau reduzieren. Nur dass wir das energetische Potenzial der Druckreduzierung nutzen, um Strom zu erzeugen. Und zwar genau in den Prozessen, bei denen der Dampf ohnehin anfällt. So kann eine unserer Turbinen rund 600 Tonnen CO2 im Jahr einsparen und rechnerisch bis zu 500 Vier-Personen-Haushalte pro Jahr mit Strom versorgen.“

Die Turbine der Zukunft ist flexibel

Turbonik hat bereits eine entsprechende Mikro-Dampfturbine auf den Markt gebracht, die besonders in Zeiten steigender Energiekosten das Interesse zahlreicher Unternehmen geweckt hat. Im aktuell durch das Sonderprogramm Umweltwirtschaft geförderten Projekt gehen die Dortmunder einen Innovationsschritt weiter: „Wir wollen unsere Mikro-Dampfturbine hochflexibel auch für einen stromnetzdienlichen Betrieb machen. Konventionelle Turbinen laufen Marathon: sehr ausdauernd in gleichförmigen Bewegungen. Im Vergleich soll unsere neue Turbine eine Flügelstürmerin werden, die wie beim Fußball viele Sprints, Start- und Stoppvorgänge beherrscht.“ Der Grund für diese Entscheidung ist die Energiewende und damit ein zukünftiges Energiesystem, das stark auf die erneuerbaren Energien setzen wird. Diese sind je nach Wind und Sonnenschein mal mehr, mal weniger verfügbar, daher werden künftig Technologien gefragt sein, die diese Schwankungen – Fachleute sprechen von der Volatilität – im Stromnetz ausgleichen können. Stromspeicher sind dafür eine mögliche Lösung. Oder eben zuschaltbare Stromquellen wie die Mikro-Dampfturbine. „Wir wissen noch nicht genau, wie das Energiesystem ausgestaltet sein wird. Wir wissen aber, dass Flexibilität gefragt sein wird. Wenn diese gewährleistet ist, sind viele Anwendungen denkbar. Zum Beispiel könnte man auch mehrere Mikro-Dampfturbinen zu einem virtuellen Kraftwerk zusammenschalten.“

Im kommenden Jahr soll die Gesamtkonstruktion im Hinblick auf diese neuen Anforderungen noch einmal komplett neu gedacht werden. Zusammen mit dem Projektpartner Fraunhofer UMSICHT sollen neue Materialien getestet, Komponenten modifiziert oder neu entwickelt und das Ganze in verschiedenen Kombinationen erst durchgerechnet und dann durch Turbonik auf einem Prüfstand auf Herz und Nieren getestet werden. Das Projekt setzt dabei auf eine eingespielte Zusammenarbeit. Die Turbonik ist eine Ausgründung des Oberhausener Fraunhofer-Instituts; bereits die erste Dampfturbine wurde gemeinsam entwickelt und als nachhaltige Innovation mehrfach ausgezeichnet. Eine kleine Erfolgsgeschichte für den Gründungsstandort Nordrhein-Westfalen.

Ein Unternehmen der NRW-Umweltwirtschaft

„Wir bauen Hightech für Unternehmen, die etwas verändern wollen“, fasst der Gründer das gemeinsame Credo zusammen, das im Kern typisch für viele innovative Unternehmen in NRW ist. Dahinter steht auch eine starke persönliche Motivation: „Ich habe früher eine Zeit lang in Asien gearbeitet und dabei erlebt, was Umweltverschmutzung bedeutet und ausmachen kann. Für mich war dann schnell klar, dass ich im Bereich Energieeffizienz und Energietechnologien an besseren Lösungen arbeiten will. Ich sehe uns definitiv als einen Teil der Umweltwirtschaft.“
Derzeit konzentriert sich das Unternehmen auf den deutschen Markt, auch weil hier die meisten potenziellen Abnehmer ihre Betriebe haben. Der nächste Schritt wird dann die Expansion in Europa sein. Schon heute sind Anfragen aus dem Ausland keine Seltenheit. „Das Potenzial ist groß, ökonomisch und ökologisch gesehen. Wir halten es durchaus für realistisch, in 10 Jahren mit unseren Turbinen ein Kraftwerk zu ersetzen.“

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Das Projekt „NetFlex“ wird im Rahmen der Umweltwirtschaftsstrategie des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert. Für Industrieunternehmen, die geringe Mengen von Prozessdampf einsetzen, entwickelt das Projektteam eine hocheffiziente Mikro-Dampfturbine, welche die bei der Druckregulierung anfallende Energie effizient verstromt und dabei hochflexibel und netzdienlich gefahren werden kann. Umweltwirtschaft – Vorsprung für NRW.

Projekt

NetFlex

Kontakt

Martin Daft
martin.daft(at)avoid-unrequested-mailsturbonik.de

Projektleitung

Turbonik GmbH, Dortmund

Projektpartner

Fraunhofer-Institut für Umwelt, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT, Oberhausen

www.turbonik.de